30.07.2015

Die heimlichen Herrscher in den Labors

Erschienen in der Sächsischen Zeitung am 26.07.2015. Ein Text von Annechristin Bonß.

Es geht um Daten. Um Berge von Daten. Ohne Informatiker wären die unbrauchbar bis gefährlich.

Garantierter Job, gefragte Experten, eine Branche, die boomt. Das Internet, drahtlose Kommunikation, Daten, die superschnell ausgetauscht werden. Überall finden sich Spuren der Informatik, beeinflusst ein ganzes Fach den Alltag. Genau wie die Studienwahl. Die Informatik zählt zu den beliebtesten Studienfächern in Deutschland. Über 50 000 Abiturienten beginnen pro Jahr das Studium in diesem Fach. Das gehört neben Mathematik, Naturwissenschaft und Technik zu den sogenannten Mint­-Fächern, also jenen, denen auch bei der Nachwuchsgewinnung für die Wirtschaft besonders viel Beachtung zukommt.

Zwei Chemiker der Firma CSS LIMS demonstrieren die Laborsoftware iLIMS.

So auch in Dresden. Mit über 1 800 Studenten gehört die TU­-Fakultät für Informatik zu den größten Ausbildungsstätten deutschlandweit. Als Einzige im Land bietet sie das Diplom in dem Fach an. Elf verschiedene Studiengänge, über 200 aktuelle Forschungsthemen, 250 Computerarbeitsplätze, 26 Professoren, 300 Mitarbeiter, ein moderner Neubau, der Millionen kostete und dazu ein Hochleistungsrechner, der zu den schnellsten überhaupt zählt.

Doch bedeuten die vielen Superlative auch gleichzeitig, dass eine Ausbildung in der Informatik automatisch zum Traumjob führt? Werden so viele Informatiker überhaupt gebraucht? Und was müssen sie können? Bernd Koschitzki bleibt skeptisch. Seine Firma CSS LIMS verkauft Anwender-­Software für Labors jeder Art. Um solche Programme für jeweils ganz spezielle Anwendungen schreiben zu können, braucht der 57­jährige Unternehmer keine reinen Informatiker.

 

Suche Chemiker

Seine letzte Stellenausschreibung lautete deshalb: Suche Chemiker mit Affinität für Programmierung. „Der Programmierer muss den Inhalt des Programms verstehen, an dem er gerade arbeitet“, sagt er. In seinem Fall bedeutet das, der Programmierer muss die Abläufe und Wünsche der Wissenschaftler in modernen Labors kennen. Diese Lehrinhalte vermisst der Unternehmer jedoch in der Informatikerausbildung. „Ich wünsche mir, dass junge Informatiker interdisziplinär ausgebildet werden“, sagt er. Schließlich kommen sie nach dem Studium mit ganz unterschiedlichen Branchen in Kontakt. Nämlich dort, wo überall Informatik gebraucht wird. Das betrifft auch seine Firma. Viele Branchen sammeln und verarbeiten heute Daten im Labor. Die Lebensmittelindustrie, Pharmahersteller, Chemiekonzerne, die Kosmetikindustrie – die Liste ließe sich problemlos fortsetzen. Überall kommen Daten zusammen, Tausende. Und sie müssen so schnell wie möglich verarbeitet und analysiert werden. Zeit ist Geld. Mit Papier und Stift arbeitet dort schon lange niemand mehr. „Das sind Methoden aus den 80er­-Jahren“, sagt Bernd Koschitzki. Nun übernehmen Programme die Jobs. Die Papierstapel im Labor verschwinden, die Datenberge wachsen.

Bernd Koschitzki liefert dafür die passenden Laborinformations-­ und Management­-Systeme. Dabei baut er auf vorprogrammierte Bausteine, die seine Mitarbeiter nach dem Gespräch mit dem Kunden optimieren, anpassen und umbauen. Am Ende entsteht eine Benutzeroberfläche, die per Knopfdruck Daten aufnimmt, ordnet, bearbeitet, auswertet und auch den Zugriff darauf erlaubt. Chemiker beraten die Informatiker, was vor Ort im Labor am besten und schnellsten funktioniert.

600 000 Euro Umsatz hat die Firma im vergangenen Jahr damit erwirtschaftet. In diesem Jahr will Bernd Koschitzki die Million schaffen, ein großer Kunde hat Anfang des Jahres den Auftrag unterschrieben. Zu den derzeit 54 Kunden gehört der LED-­Hersteller Osram, genau wie der Schweißtechnik­-Experte Kjellberg und das Fraunhofer-­Institut für Chemische Technologie im baden-­württembergischen Pfinztal. Für seine Arbeit hat der Firmenchef den Innovationspreis IT Mittelstand 2015 bekommen. Viel Lob gab es für die innovativen, mittelstandsgeeigneten IT­-Lösungen mit hohem Nutzwert, die CSS LIMS liefert.

Doch trotz dieser Erfolgsmeldungen aus der Wirtschaft will Franz Baader die Einschätzung zur Zukunft ausgebildeter Informatiker nicht teilen. Der Professor für Automatentheorie an der TU Dresden ist gleichzeitig Dekan an der Fakultät Informatik. „Die Kritik an unserer Ausbildung ist mir zu kurz gedacht“, sagt er. Ein Chemiker mit Interesse am Programmieren könne nie so gut sein, wie ein ausgebildeter Informatiker. Denn dieser lernt im Studium auch das Abstraktionsverständnis, also die Fähigkeit zu verstehen, was das Problem ist und wie eine Lösung aussehen könnte. „Wir bilden Generalisten aus mit einem guten, breiten Grundwissen, die sich selbstständig an neue Anforderungen anpassen können“, sagt er. Gute Informatiker können sich schnell in die Anforderungen der jeweiligen Branche einarbeiten. Diese Zeit müssen die Firmen ihnen aber auch geben.

Den Traumjob in drei Monaten

Dennoch setzen die Dresdner auf eine spezialisierte Ausbildung. Wer hier das Diplom schaffen will, muss ein Nebenfach wählen. Computergestützte Biologie, Verkehrstelematik, Geoinformationssysteme, Nachrichten­-, Biomedizin-­ oder Produktionstechnik stehen zu Wahl. Auf welchem Gebiet sich die Studenten spezialisieren, hat keinen Einfluss auf die späteren Jobchancen. „Informatik-­Absolventen bekommen sowieso einen Job“, kommentiert dies Franz Baader.

Das belegen Absolventenstudien. Keine vier Monate vergehen, bis ausgebildete Informatiker nach dem Abschluss einen Job finden. Dafür schreiben Dresdner Absolventen im Schnitt fünf Bewerbungen und führen zwei bis drei Vorstellungsgespräche. So wie Sandra Wecke. Die 26-­Jährige hat Mitte vergangenen Jahres ihren Abschluss an der TU gemacht und dafür den Special Woman Award der Saxonia Systems AG bekommen. Nun arbeitet sie bei einem kleinen Dresdner Start-­up und entwickelt dort eine neue App. Damit sollen Menschen kleine Prozesse im Alltag schnell unterwegs lösen können. Die mobile Hilfe verwaltet Daten, erinnert an Termine und zeigt zum Beispiel Informationen über Gesprächspartner beim nächsten beruflichen Termin an. So hilft die Software bei der Vorbereitung im Job.

„Ich wollte programmieren und unbedingt im Bereich der Mensch­-Computer-­Kommunikation arbeiten“, sagt sie. Der Blick auf die Menschen, die mit ihrer Software arbeiten, war ihr wichtig. Apps und mobile Kommunikation seien gefragte Themen. Darauf fühlt sie sich jedenfalls bestens vorbereitet. Und nach diesem Job brauchte Sandra Wecke nur drei Monate suchen – so wie die meisten Informatiker mit dem Dipl.­-Ing. von der TU Dresden. 


 

Nachtrag zum Artikel von Bernd Koschitzki:

"Ich möchte ein Missverständnis korrigieren. Mit der Ausbildung der Informatiker in Sachsen sind wir absolut zufrieden. Unsere Entwickler kommen alle von der BA, der HTW oder anderen sächsischen Hochschulen und haben bereits während des Studiums bezahlte Praktika absolviert. Die Verbindung von interdisziplinärer Theorie und Praxis ist aus unserer Sicht gelungen. 

Ein Problem ist dagegen die mangelhafte Informatikausbildung in anderen Studienrichtungen. Neben reinen Softwareentwicklern benötigen wir vor allem Kundenberater und Projektleiter, die fachlich in der Lage sind die Anforderungen der Kunden aufzunehmen und Konzepte zu erarbeiten und die diese Konzepte für die Entwicklung so aufbereiten können, dass jeder Entwickler sie ohne große Rückfragen umsetzen kann. Dazu wäre es nötig, bereits während des Studiums die gängigen Softwarewerkzeuge seiner Branche kennen zu lernen und zugleich einfache Erfahrungen in der Scriptprogrammierung zu machen. Nach unseren Erfahrungen ist das zwar in der Betriebswirtschaft der Fall (wobei hier der Eindruck vermittelt wird es gäbe nur ein Programm namens SAP) aber Chemiker und Biologen sind nach ihrem Studium hinsichtlich Informatik unbeschriebene Blätter.  Die Berufschancen sind für Spezialisten mit zusätzlicher IT-Erfahrung deshalb besonders gut." 

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